Mein Traum endete jäh und schmerzvoll. Mein Traum vom Fußballspielen, den ich wie Millionen andere in Deutschland zwar in den niederen Ligen, dafür umso leidenschaftlicher auslebte. Und mein Traum vom Winterurlaub. In ebenjenen fuhr ich, seitdem ich ein kleiner Junge war. Und obwohl der Skiurlaub ein jährliches Unikum in den Weihnachtsferien war, vermisste ich den Schnee noch mehr als die Fußballschuhe.
Drei Kreuzbandrisse beim Fußball
2015 hatte ich mir binnen kurzer Zeit das dritte Mal das Kreuzband in einem Kreisligaspiel gerissen. Zweimal hatte ich mich bereits zurückgekämpft. Doch nach dem dritten Mal war mir klar: Wenn ich auch noch im Alter einigermaßen schmerzfrei leben möchte, muss ich sowohl mit dem Fußball als auch Skifahren aufhören – viel zu gefährlich. Viel zu ungesund.
Es war also eine bittere, wenn auch nötige Entscheidung, mit meinen sportlichen Passionen zu brechen. Wie ein kleines bockiges Kind vermied ich fortan jegliche Gedanken an den Winterurlaub. An die verschneiten Berge. An das Kaiserwetter auf dem Gipfel. An das schönste Gefühl der Welt, im Schuss eine Piste hinterzudüsen. Selbst den Wintersport im Fernsehen, der für mich zu jedem gemütlichen Sonntag gehörte, reduzierte ich erbarmungslos. Ich hatte mit dem Winter abgeschlossen.
Flieger gen Abenteuer
Und dann saß ich im Flieger nach Arvidsjaur. Dezember 2019. Flughafen Hannover-Langenhagen. Es ist 8.10 Uhr und die TUI-Maschine hebt ab. Gen Norden. Richtung Abenteuer. Vor mir liegt ein langes Wochenende Schwedisch Lappland. Ein Traum, den ich mir schon seit jeher erfüllen wollte. Und nun dank andersweg.reisen wahr wurde. Die Stippvisite am Polarkreis als der perfekte Einstieg für einen Lappland-Trip.
Imposant ist bereits der Anflug. Nach einem Zwischenstopp in Kitilä (Finnland) hebt die Maschine für knapp weitere 25 Minuten nach Arvidsjaur ab. Wegen der geringen Flugzeit steigt die Boeing nicht weit auf. Wir fliegen, so fühlte es sich an, nur knapp über den Baumwipfeln Lapplands. Eine ebene, weiß verzauberte und einsame Traumlandschaft tut sich unter uns auf.
Aushaltbare -20 Grad
Es ist mitten am Tag, als wir den kleinen, liebevollen Flughafen in Arvidsjaur verlassen. Doch es sind zwei Dinge, die mir nicht nur umgehend auffallen, sondern auch sehr beeindrucken. Zum einen: Ja, es ist unfassbar kalt. Und dennoch habe ich mir -20 Grad Celsius – es ist das erste Mal, dass ich eine solch arktische Kälte spüre – noch eisiger vorgestellt. Es ist aufgrund der trockenen Luft auszuhalten.
Was mich fasziniert, ist das Sonnenspiel – das eben keines ist. Schon als kleines Kind fragte ich mich, wie es hochoben jenseits des Polarkreises wohl so ist, wenn es im Sommer durchgehend hell und im Winter durchgehend dunkel ist. Hier im Dezemberanfang scheint es, als klopfe die Sonne nur am Horizont an. Doch sie kommt nicht darüber. Es bleibt bei einem zu erahnendem Tageslicht. Aber wie gesagt: Es fasziniert mich.
Den entscheidenden Schritt über den Polarkreis nach einer einstündigen Busfahrt begieße ich mit einem grässlich stechenden Schnaps. Das ist hier Tradition. Und ich bilde mir ein, dass mein erstmaliges Hinüberschreiten des nördlichen Polarkreises nur durch diesen Schnaps zertifiziert wird.
"Hier ist alles weiß"
Hier ist alles weiß. Die Straßen sind durch die Fahrzeuge plattgewalzte Pisten. Doch der Schnee ist so dick, dass nicht ein Zentimeter Asphalt zu sehen sind. Flankiert wird die einsame Hauptstraße durch meterhohe Schneehaufen am Rand. Direkt dahinter: Das Konvolut an nordischen Nadelbäumen, die die Last des Schnees auf ihren Zweigen stoisch tragen.
Im Hotel in Jokkmokk streife ich mir noch Kleidungsschichten drei und vier über, stell den Koffer in die Ecke und will sofort nach draußen. Es ist 16 Uhr und stockfinster. Und – auch das fällt einem hier auf – still. Keine Stille, wie man sie hier etwa aus einem Waldstück kennt. Es ist so still, dass man sich selbst erwischt vorkommt, wenn man nur ausatmet.
Ein verhängnisvoller Fehler
Ich inspiziere das verschlafene und verträumte Städtchen Jokkmokk. Es kommt mir ein älterer Herr entgegen. Auf einem Schlitten. Er begrüßt mich mit ein paar Wörter auf Schwedisch und schlittert weiter. Ich hingegen bereue einen Fehler. Ich wollte ein schnelles Foto mit meiner Handykamera machen. Dass ich mir dafür meinen Handschuhe für wenige Sekunden ausgezogen habe, war verhängnisvoll.
Es dauert eine halbe Stunde im aufgewärmten Hotel, bis meine Hand wieder Normaltemperatur erreicht hat. Vor dem Einschlafen bemerke ich einen echten Vorteil lappländischer Umgebungsgegebenheiten. Meine Dose Bier, die ich mir zum Einschlafen gönne, stelle ich vor das Fenster. Nach nur wenigen Minuten ist sie eiskalt – und ich schlafe zufrieden ein.
Die Hundeheilung
Der nächste Tag beginnt überraschend. Heute steht die Fahrt auf dem Huskey-Schlitten statt. Traumatisiert durch einen Hundebiss im Kindesalter, halte ich automatisch Distanz zu Hunden. Doch am Ende des Tages habe ich meine latente Angst vor Hunden verloren. Huskeys sind genauso liebenswürdig wie fidel. Es beeindruckt mich, wie kraftvoll sie den Schlitten mit mir und vier weiteren Personen über zugefrorene Seen und vollgeschneite Waldstücke ziehen. Unermüdlich, als wollten sie den neugierigen Touristen aus Deutschland zeigen, was sie drauf haben.
Mittendrin – die zwölf Huskeys ziehen den Schlitten nunmehr mit stattlicher Geschwindigkeit – schließe ich die Augen und genieße das Dasein: die Kälte, die sich trotz Thermo-Overall durch meinen Körper zieht. Das Ruckeln. Und das Gefühl an einem Ort zu sein, der sich nicht anfühlt, als wenn er zu diesem Planeten gehört. Abends schlafe ich binnen weniger Augenblicke ein. Die Kälte und natürlich die Erlebnisse saugen mir jegliche Kraft aus – das war schon früher so im Winterurlaub.
Inmitten des Rentier-Geheges
Am nächsten Tag fühle mich plötzlich ziemlich klein. Eine Armada von Rentieren macht sich im Kollektiv und Eiltempo mitten auf mich zu. Auf mich, der mit seiner Kamera im weit eingezäunten Areal auf der Rentierfarm von Helena steht. Zu meinem Glück interessieren sich die Rentiere sich kein Stück für mich und lavieren sich gelenk an mir vorbei. Es ist das erste Mal, dass ich Rentiere sehe. Es ist auch das erste Mal, dass ich mit der samischen Kultur in Berührung komme.
Ich habe bis zu dieser Reise nicht gewusst, dass im Norden Europas die Samen als Ureinwohner Skandinaviens bis heute ihre spannende Kultur aufrechterhalten. So wie es die Samin Helena tut, die zwar ein modernes Leben lebt, aber bis heute eng verwurzelt ist mit den Tradition ihrer samischen Familie. All dem lausche ich in einer Zeltkolta, bei Lagerfeuer. Nur eines traue ich mich nicht offen zu zeigen: Dass ich den gereichten Rentiersnack zumindest gewöhnungsbedürftig finde.
Zurückgewonnene Liebe
Meine Reise, mein Abenteuer in Schwedisch Lappland endet am nächsten Tag. Es ist noch so viel mehr passiert, als ich in diesem Text auch nur anschneiden kann. Ich habe unvergessliche Erlebnisse gesammelt. Habe Dinge erfahren, mit denen ich nicht gerechnet habe. Als ich mit dem Flugzeug aber wieder Hannover ansteuere und ich aus dem Fenster in ein schwarzes Nichts schaue, fällt mir aber eines plötzlich auf: Ich habe den Winter wieder lieben gelernt.
Leon
Leon, 25 Jahre, liebt das Reisen und bekommt nie genug davon, Neues zu entdecken. Seine Neugier lotste ihn schon bis nach Japan, Guatemala und auf die Fidschi-Inseln. Im hohen Norden aber fühlt er sich am wohlsten. Im Winter liebt er es, sich in der lappländischen Schneewelt der Natur hinzugeben. Im Sommer genießt der studierte Journalist besonders Schwedens einzigartige, maritime Küstenwelt. Schweden ist für Leon ein Kaleidoskop des Reisens: aufregend, abwechselnd, anders. Im Land der Mitternachtssonne erlebt er bei jeder Reise aufs Neue, was SchwedenPur bedeutet.